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Wachstum ist nicht gleich Wohlstand.
Ein Blick über den Tellerrand

Naturzerstörung, Landschaftsverbrauch, Zunahme von Lärm, Abgasen, Gesundheitsgefahren und ein erhöhtes Risiko von Absturzgefahren – das sind einige der Argumente gegen den Flughafenausbau. Fraport, Hessische Landesregierung und Lufthansa behaupten dagegen, die Flughafenerweiterung sei unbedingt notwendig für die Rhein-Main-Region. Stillschweigend wird hier das Wachstum des Flughafens mit der Zunahme des Wohlstandes in der Region gleich gesetzt. Fraport-Chef Wilhelm Bender stilisiert die Flughafenerweiterung gar zur „Schicksalsfrage“ für Frankfurt, die Region, ja für den gesamten Luftverkehrsstandort Deutschland hoch. Er vollzieht damit die herrschende Doktrin des Dominanten Marktes, der folgendermaßen charakterisiert ist: er ist angebotsorientiert - neoliberal und setzt auf eine sich verstärkende wirtschaftliche Globalisierung. Wesentlicher Steuerungsmechanismus ist das Marktgeschehen. Politik wird als Versuch der Verbesserung von Standortbedingungen betrieben, Umweltpolitik taucht lediglich als Störfaktor auf. Wachstum, Wettbewerb und Konkurrenz sind wesentliche Prinzipien.

So rechnen z.B. Fluglinien und Flughafenbetreiber mit einer Verdoppelung des Flugverkehrs in den nächsten 25 Jahren und verkaufen das gemeinsam mit der Politik auch noch als gute Nachricht und Wohlfahrtsgewinn. Doch in einer endlichen Welt ist ein Wachstum ins Unermessliche unmöglich. Eine Orientierung an Wachstumsraten führt bei einem steigenden Wirtschaftsniveau zudem in die Irre. 3% Wachstum auf dem heutigen Stand etwas ganz anderes als vor 40 Jahren, als das Level viel niedriger war. Je höher das Wirtschaftsniveau, desto weniger aussagekräftig ist eine ökonomische Kennziffer wie das Bruttosozialprodukt für den Wohlstand einer Gesellschaft. So ist seit 1991 eine Steigerung von 27% im Güterverkehr zu verzeichnen, aber die transportierte Gütermenge stieg lediglich um 9%. D.h. es wurde jede Menge überflüssiger Verkehr auf den Straßen mit allen seinen negativen Folgeerscheinungen erzeugt. Neun Millionen Eintagsküken wurden 2002 über den Frankfurter Flughafen verfrachtet. Wo liegt da der Wohlstandsgewinn für die Region?

Die Kennziffer Bruttosozialprodukt steigt auch deshalb, weil die o.g. Beispiele als Wohlstandsgewinn mit eingerechnet werden. Auch „Reperaturkosten“ für eine zerstörte Umwelt oder ähnliches fließen als angebliche Steigerung der Wohlfahrt ins BSP ein. Kriterien wie Gesundheit, Zugang zu Bildung, Lebensfreude und –qualität, Ruhe, Aktionsmöglichkeiten und Erholungswert fallen jedoch vollständig heraus. Mittlerweile klaffen die Kennzahlen des BSP und des Nachhaltigkeitsindex ISEW, der o.g. Kriterien mit berücksichtigt, immer weiter auseinander. Wachstum ist eben nicht gleichbedeutend mit Wohlstand.
In Zeiten verschärfter sozialer Ungleichheit stellt sich außerdem die Frage: Wachstum - für wen? Wem nutzt es? Wir erleben, daß immer weniger von Verteilungsgerechtigkeit die Rede ist. Statt dessen wird in Zeiten von wachsender Erwerbslosigkeit die vage Hoffnung, doch noch irgendeinen Job zu ergattern, dazu benutzt, die Menschen in der Region zu erpressen: Entweder es kommt die Flughafenerweiterung – oder in der Region gehen die Lichter aus, so die Drohung, die Hessische Landesregierung, Fraport und Lufthansa unisono von sich geben.

Doch das sind Projektionen oder normative Setzungen, die hinterfragbar sind, aber keine ernsthaften Prognosen. Die Ausrichtung und Zurichtung der Region auf die Globalisierung ist kein Naturgesetz und muß nicht als unumstößlich hingenommem werden.
Es gibt verschiedene Visionen von Zukunft und die Menschen im Rhein-Main-Gebiet müssen sich entscheiden, welche Form von Entwicklung die bessere ist.
Deshalb hier die Empfehlung, das Fernglas einmal herumzudrehen und die eigene Region zu betrachten, anstatt immer nur auf die Globalisierung und den Weltmarkt zu starren. Wie wollen wir in der Region leben? Welche Bedürfnisse gibt es in der Region und welche Ressourcen sind dafür vorhanden (Natur, Arbeit, Kapital)? Aus diesem veränderten Blickwinkel kann man neue regionale Szenarien und Leitbilder entwerfen und Instrumente und Handlungsmöglichkeiten dafür entwickeln.

Ein Leitbild könnte z.B. die Regionale Nachhaltigkeit sein. Sie ist gekennzeichnet durch Regionalisierung und dem Ausbau nationaler, regionaler und lokaler Wirtschaftsstrukturen. Sie führt zu einer langsamen Abkoppelung der sozialen Sicherung von der abhängigen Erwerbstätigkeit der lokalen Bevölkerung. Sie ist ökologisch orientiert und erweitert kommunale und regionale Handlungsspielräume, bzw. stellt sie wieder her. Qualität und Handlungsziele werden in den einzelnen Bereichen (z.B.dem ökologischen und sozialen Rahmen, der Bevölkerungsentwicklung, der Flächennutzung, der Wirtschaftsstruktur, Arbeitslosigkeit, Bauflächenplanung und Wohnungsversorgung und der Versorgung der Bevölkerung) für die Region entwickelt und nicht in Hinblick auf andere Regionen. Statt Konkurrenzdenken zu anderen Regionen, setzt die regionale Orientierung auf Kooperation.

Eine Orientierung an dem Skizzierten Leitbild würde jede Flughafenerwei-terung überflüssig machen.

Der Artikel beruht in weiten Teilen auf einer Mitschrift eines Vortrages mit dem Titel „Wohlstand ohne Ausbau?“ von Priv. Doz. Dr. Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Institut für interdiziplinäre Forschung, Arbeitsbereich Nachhaltige Entwicklung im Jahr 2004.

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Bündnis der Bürgerinitiativen Kein Flughafenausbau - Für ein Nachtflugverbot
Verantwortlich: Winfried Heuser, Frankfurt/Main, Sprecher des Bündnisses