Rede von Hermann Schaus zum Setzpunkt der Fraktion DIE LINKE zur Inbetriebnahme der Nordwestlandebahn des Frankfurter Flughafens, am 5. Oktober 2011
Es gilt das gesprochen Wort
Herr Präsident ,
meine Damen und Herren,
in großer Sorge über die weitere Entwicklung des Fluglärms in der Rhein-Main Region und über die Gesundheit der Bevölkerung haben wir einen Antrag eingebracht, in dem wir in letzter Minute noch eine Umkehr von einem verhängnisvollen Weg fordern.
Seit die neuen Flugrouten im März dieses Jahres in Vorbereitung auf die neue Landebahn in Betrieb genommen wurden, hagelt es Proteste und Klagen ganz neuer Betroffener aus weit entfernten Städten und Landkreisen. Jetzt erst, sehr, sehr spät scheint es vielen Menschen klar zu werden, dass auch sie vom Flughafenausbau persönlich betroffen sind und welche unmittelbaren Auswirkungen die neuen Flugrouten haben.
Deshalb klagen Städte wie z. B. Rodgau, Neu-Isenburg, Heusenstamm, Obertshausen und Seligenstadt (alle Kreis Offenbach), Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) und die Gemeinde Hainburg, Hanau und Rodenbach, Mainz und Wiesbaden gegen die neuen Flughöhen.
Und eines wird klar: Die derzeitigen Lärmbelastungen stellen erst den Anfang dar, denn wenn die neue Landebahn erst voll in Betrieb genommen ist und dann die stündlichen Flugbewegungen von 80 auf bis zu 120 erhöht sind, steigt die derzeitige Lärmbelastung um ein vielfaches.
Die Belastungen durch diesen Fluglärm, weit über die Grenzen Hessen hinaus, gefährden die Gesundheit hunderttausender Menschen.
Obwohl das Bundesverwaltungsgericht über die Klagen gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens noch nicht endgültig entschieden hat, soll am 21. Oktober 2011 die neue Landebahn in Betrieb genommen werden. Es ist schon ein merkwürdiges Rechtsverständnis, dass den Flugbetrieb auf der neuen Bahn zulässt, während die Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht noch nicht abgeschlossen sind.
Wie die Stadtverordnetenversammlung in Offenbach so fordern auch wir die Inbetriebnahme der Landebahn bis zum Abschluss aller dagegen gerichteten Klagen auszusetzen. Hier werden Fakten geschaffen, die nur sehr schwer wieder zurückgeholt werden können.
Und wir stimmen mit den Offenbacher Stadtverordneten auch überein, wenn sie feststellen, dass es „keinen dringenden Bedarf“ für eine derzeitige Inbetriebnahme gibt.
Gerade noch rechtzeitig zur Inbetriebnahme hat der Wirtschaftsminister die notwendige Lärmschutzbereichsverordnung erlassen und diese – und das ist ein besonderes Zeichen der Unterwerfung der Politik unter die wirtschaftlichen Interessen der Fraport – gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden Schulte der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Mehr öffentlich zur Schau gestellt Kumpanei geht gar nicht! Als ob es noch immer eines Symbols der Unterwerfung unter die wirtschaftlichen Interessen der privaten Aktiengesellschaft Fraport bedurft hätte.
Für die übergroße Mehrheit der vom Fluglärm betroffen Menschen wird die Lärmschutzbereichsverordnung nur eines bringen: Die Gewissheit, dass sie keinen Schutz vor Lärm erhalten, dass sie ihre Terrassen und Gärten nicht mehr in gewohnter Weise nutzen können und nicht bei offenem Fenster schlafen können.
Die „Schallschutzgebiete“ – bereits der Name ist kompletter Unfug – sind viel zu klein. Nur für sehr wenige, extrem von Lärm betroffenen Menschen wird die Verordnung einen Nutzen bringen, sofern man eine Art „Käfighaltung mit Ventilator“ als nützlich erachtet.
Die Lärmschutzverordnung schützt nicht vor Lärm. Sie setzt nicht an der Quelle an. Sie verwaltet eine gravierende Umweltverschmutzung und würde deshalb besser Lärmverwaltungsverordnung heißen. Sie unterteilt den Lärmteppich über Rhein-Main in weniger laute und laute Bereiche, nach denen sich die Zuschüsse richten.
Was die Verordnung schützt, sind die wachsenden Einnahmen der Fraport. 263 Millionen Euro Nettogewinn hat die Fraport im letzen Jahr erwirtschaftet. Rund 150 Millionen Euro sollen im Rahmen der Schallschutzverordnung einmalig von Fraport zugeschossen werden.
Das hört sich zwar viel an, genau betrachtet ist das aber sehr wenig, denn bei 120.000 Betroffenen bedeutet dies im Durchschnitt 1250 Euro pro Person. Damit bekommen sie aber bestenfalls ein Fenster bezahlt. So sieht ausreichender Schallschutz also wirklich aus!
Die Landesregierung will den Menschen die neue Verteilung einer Umweltverschmutzung wie Fluglärm über eine möglichst große Fläche, als Akt der Demokratisierung verkaufen. Alle sollen halt was davon abbekommen!
Zu dem äußerst zweifelhaften Nutzen der Lärmschutzverordnung kommt noch, dass sie entschieden zu spät erlassen wurde. Diese Verordnung hätte mit der Planfeststellung zusammen vorgelegt werden müssen, damit die Umbauten der Häuser nicht – wie jetzt vorgesehen bis sechs Jahre danach –, sondern vor Inbetriebnahme hätten vorgenommen werden können.
Die Landesregierung missachtet damit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes in eklatanter Weise. Denn beide haben festgestellt, dass ein wirksamer Lärmschutz bei Eintritt des Lärms vorliegen muss und nicht Jahre später.
Fraport hat bis jetzt von jeder Landesregierung bekommen, was sie wollte. Umweltschutz und der Schutz der Menschen vor Fluglärm blieben dabei auf der Strecke.
Statt der Aufweichung des § 29b Luftverkehrsgesetz auf Bundesebene das Wort zu reden, erwarten die Betroffenen eine Änderung des § 27 Abs. 1 der wie folgt lauten sollte: „Die Flugsicherung dient der sicheren und geordneten Abwicklung des Luftverkehrs in Verbindung mit möglichst geringer Fluglärmbelastung der Bevölkerung.“
In der Regierung Börner hieß es „Kein Baum wird mehr fallen“. In der Regierung Koch gab es den „Flughafenausbau nur mit Nachtflugverbot“ und in der Regierung Bouffier?
Die hat Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch.
Seine Aufgabe wäre es eigentlich, einen Interessensausgleich zwischen Fluglärmgeschädigten und Fraport zu organisieren. Lärmschutz, Belastungsreduktion und die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Kommunen in der Region müsste er eigentlich dem wirtschaftlichen Nutzen des Flughafens abwägend gegenüberstellen. Er bleibt aber in der „Tradition“ der Vorgängerregierungen.
Wir haben einen Ausbaulobbyisten als Wirtschaftsminister, der nichts, aber auch gar nichts unternimmt, was die Gewinnmaximierung von Fraport auch nur ankratzen könnte.
Meine Damen und Herren, wenn man schon glaubt alles durch die ökonomische Brille betrachten zu müssen, dann aber auch bitte umfassend und nicht nur interessengeleitet.
Also:
- Was kosten denn Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Altenheime, die aus den Lärmzonen verlegt werden müssen?
- Wie viel Geld verliert eine Gemeinde, wenn sie keine neuen Baugebiete mehr ausweisen kann?
- Welche Einbußen hat sie durch den Wegzug von Menschen, die den Lärm nicht mehr ertragen?
- Wie schlagen sich die lärmstressbedingten Einbußen in der Produktivität nieder?
- Wie teuer kommen uns gesellschaftlich die Behandlung der durch den Lärm ausgelösten Bluthochdruckerkrankungen, Herzinfarkte und Brustkrebserkrankungen?
Erst eine solche Kostenbetrachtung würde uns einer ökonomischen Wahrheit näherbringen. Genau deshalb fordern wir in unserem Antrag eine umweltökonomische Gesamtrechnung für den Frankfurter Flughafen.
Der Ausbau des Flughafens ist noch lange nicht vorbei. Das Terminal 3 wird noch mehr Straßenverkehr in die Region bringen. Der Ausbau des Flughafens zu einer Airport-City verändert bereits jetzt die Infrastruktur der umliegenden Städte. Der Flughafen zieht alles an sich, die Städte werden verlärmt und ihrer Urbanität beraubt.
Die Gemeinden werden zu Schlafstädten des Flugplatzes, in denen die Menschen aber keine Ruhe findet. Die Einführung eines Nachtflugverbots zwischen 22 und 6 Uhr bleibt und ist die Pflicht der Landesregierung.
Die Bedeutung des Flughafens für die Region ist mehr als zweifelhaft:
- 55% der Passagiere sind Umsteige- und Umladeverkehr, also ohne nennenswerten wirtschaftlichen Effekt in der Region – außer für Fraport.
- Laut vieler Piloten hat der Frankfurter Flughafen eines der schlechtesten Landeverfahren weltweit mit einem hohen Kerosinverbrauch.
- Gegen den besten Lärmschutz in der Nacht – das magere Nachtflugverbot von 23 bis 05 Uhr – klagt die eigene Landesregierung.
- Die neuen Gegenanflugrouten überziehen – ohne Not – große Gebiete Südhessens mit zusätzlichem Lärm.
- Auch bei Starts in Richtung Nordwest ist der Abflug sehr flach und die Flüge ab dem Rhein niedrig.
- Die Landesregierung verweigert Auskünfte darüber, ob alle Auflagen aus dem Planfeststellungsbeschluss erfüllt wurden. Darunter auch das Frühwarnsystem für Vogelschlag.
Das Vogelschlagwarnsystem der Fraport ist ein riskantes Experiment auf dem Rücken der Menschen. Obwohl es nach dem Planfeststellungsbeschluss spätestens ein Jahr vor Inbetriebnahme der Landebahn hätte installiert und getestet sein sollen, ist das Vogelschutzwarnsystem (MIVOTHERM) drei Wochen vor der Eröffnung der neuen Landebahn immer noch ohne offiziellen Beleg seiner Wirksamkeit.
Die Landesregierung hat sich bislang geweigert, die Ergebnisse der Testläufe des neuen Systems zu veröffentlichen und einer externen Prüfung zu unterziehen.
Meine Damen und Herren, das ist genau so wie wenn man ein selbstgebautes KFZ ohne TÜV -Genehmigung auf die Straße bringen würde, um mal zu testen ob es sich bewährt.
Schlimmstenfalls nehmen die Fraport und die Hessische Landesregierung einen Flugzeugabsturz aufgrund falscher Vogelflugdaten durch MIVOTHERM in Kauf.
Bei der Inbetriebnahme der neuen Landebahn muss aber die Landesregierung garantieren können, dass ein Flugzeugabsturz durch den Landeanflug kreuzende Vogelschwärme bei Mainkilometer 14,4 absolut ausgeschlossen ist.
Wir erwarten hierzu heute von Ihnen, Herr Staatssekretär Saebisch, eine eindeutige Aussage!
Können sie die ausreichenden Tests, so wie im Planfeststellungsbeschluss beschrieben nicht bestätigen, muss die Inbetriebnahme der neuen Bahn solange gestoppt werden, bis der Nachweis der Funktionsfähigkeit dieses Systems gutachterlich zweifelsfrei erbracht wird.
Unserer zentralen Forderungen bleiben deshalb:
- Keine Inbetriebnahme der neuen Landebahn vor der Entscheidung aller dagegen gerichteten anhängigen Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht.
- Eine unverzügliche Einführung von lärmmindernden An- und Abflugverfahren.
- Die Neuplanung der Flugrouten nach den Kriterien Flugsicherheit und Lärmschutz.
- Keine Inbetriebnahme der neuen Landebahn solange das Frühwarnsystem gegen Vogelschlag nicht ausreichend getestet ist.
- Ein uneingeschränktes Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr
- Eine Gesundheitsstudie nach dem Vorbild der von Prof. Greiser durchgeführten Fall-Kontroll-Studie für den Flughafen Köln-Bonn muss erstellt werden.
- Verminderung der Flugbewegungen: innerdeutsche Flüge gehören auf die Schiene.
Und letztlich brauchen die Menschen auch eine verbindliche Zusage, dass keine weiteren Start- und/oder Landebahnen mehr gebaut werden.
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